Aug 07, 2019
Offener Brief an das Museum der bildenden Künste Leipzig
by Lydia | Allgemein | 0Comments
Am 22. Juni gab es eine Veranstaltung im Museum der bildenden Künste Leipzig, bei der ich und auch Kolleginnen von mir sowie einige Unterstützer*innen leider mal wieder mit stigmatisierenden, vorgefertigten und verallgemeinernden Bildern über uns und unsere Arbeit konfrontiert waren. Wir, also einige meiner Kolleg*innen und ich, hatten recht kurzfristig von dieser Veranstaltung gehört und alles versucht, mit aufs Podium zu dürfen. Leider wurde uns dies nicht ermöglicht. Da ich im Arbeitskreis Sexarbeit Leipzig aktiv bin, habe ich an dem unten stehenden offenen Brief mitgewirkt und hoffe sehr, dass sich das Museum dazu äußert. Der Brief ist auch auf der Facebook-Seite des AK Sexarbeit veröffentlicht und darf gern geteilt werden:
Offener Brief zur Podiumsdiskussion „Gewalt an Frauen. Ein Gespräch über Prostitution“ im Museum der bildenden Künste Leipzig
Im Rahmen der „PEACE IS POWER“-Ausstellung von Yoko Ono fand am 22.06.2019 die Podiumsdiskussion „Gewalt an Frauen. Ein Gespräch über Prostitution“ im Museum der bildenden Künste statt. Als Teilnehmende der Podiumsdiskussion waren Huschke Mau und Sophie vom Netzwerk Ella sowie Inge Bell von Terre des Femmes geladen. Die Moderation sollte von Kirsten Huwig, Mitarbeiterin des Museums und Organisatorin der Veranstaltung, übernommen werden.
Im Vorfeld der Podiumsdiskussion haben Vertreter*innen des Arbeitskreis Sexarbeit Leipzig Kontakt zum Museum der bildenden Künste aufgenommen. In einem Gespräch mit Frau Huwig äußerten, den AK vertretende, Sexarbeiter*innen den Wunsch, als eigentliche Akteur*innen und unmittelbar Betroffene, an der Podiumsdiskussion teilnehmen zu können. Frau Huwig lehnte dies mit der Begründung ab, dass der Fokus nicht auf Sexarbeit gelegt werden solle, sondern auf das eigentliche Thema Gewalt an Frauen. Gleichwohl sollten Sexarbeit in ihrer Vielfältigkeit und Menschen in der Sexarbeit mit ihren individuell sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in der Diskussion Berücksichtigung finden. Für die Präsentation der Themen des AK Sexarbeit wurde das Auslegen von Informationsmaterialien zur Veranstaltung angeboten.
Der AK Sexarbeit wendet sich mit diesem Offenen Brief an den Veranstalter, das Museum der bildenden Künste. Aus Sicht des Arbeitskreis Sexarbeit konnte das Museum der bildenden Künste als Veranstalter der Podiumsdiskussion seiner gesellschaftlichen Verantwortung an diesem Abend nicht gerecht werden. Ein städtischer Raum wurde genutzt, um einen, aus unserer Sicht, rassistischen und einseitigen Blick auf Menschen aus der Sexarbeit sowie der Unterbindung von kritischen Anmerkungen eine Plattform zu geben. Eine Veranstaltung, die auf Gewalt an Frauen aufmerksam machen sollte, wurde genutzt, um Sexarbeiter*innen zu stigmatisieren und Personen aus dem Publikum als psychisch krank zu bezeichnen. Das geschaffene Klima führte zusätzlich dazu, dass Sexarbeiter*innen aus dem Publikum auch nach der Veranstaltung weiter im Internet angegriffen wurden. Im Folgenden soll die Kritik ausführlich dargestellt und reflektiert werden. Dazu möchten wir, als AK Sexarbeit, die Podiumsdiskussion im Museum der bildenden Künste reflektieren und Stellung beziehen.
Als eine städtische Einrichtung hat das Museum im Podium Vertreter*innen zu Wort kommen lassen, die Sexarbeiter*innen per se nur als Opfer sehen. Das Thema „Gewalt an Frauen“ wurde ausschließlich an Sexarbeitenden abgehandelt. Die vom Museum gesetzten Rahmenbedingungen machten einen wertfreien und offenen Austausch zum Thema Gewalt an Frauen unmöglich. So wurden erst einen Tag vor der Podiumsdiskussion die (auch auf der Facebook-Seite des Museums geteilten) Veranstaltungsinhalte um einen Themeneinstieg zu Sexarbeit ergänzt. Damit wurde das Thema Gewalt, entgegen den Äußerungen von Frau Huwig im Vorgespräch, auf Sexarbeit begrenzt. Auch wurde die Auslage der Informationsmaterialien des Arbeitskreises nicht ermöglicht. Erst nach mehrmaligen Anfragen wurde ein Tisch außerhalb des Veranstaltungsraumes platziert. Die ausgelegten Materialen konnten von einer einzigen Zuhörerin, ohne Einschreiten der anwesenden Mitarbeiter*innen des Museums, komplett abgeräumt werden. Die Podiumsdiskussion selbst gestaltete sich als ein Gespräch zwischen den drei, im Podium vertretenen, Frauen. Frauen mit einer übereinstimmenden Sichtweise auf Sexarbeit. Die Moderation wurde nicht, wie angekündigt, von Frau Huwig übernommen, sondern von der Podiumsteilnehmerin Inge Bell. Es folgte ein Austausch über die Überzeugungen, Sexarbeit sei an sich eine Form von Gewalt an Frauen und alle Sexarbeiter*innen Opfer. Sexarbeit, Zwangsprostitution, Menschenhandel, Trauma und sexueller Missbrauch wurden mit dem Begriff Prostitution zusammengefasst, vermischt und gleichgesetzt. Durch die Moderatorin Inge Bell wurden immer wieder Zahlen, die sie auf Nachfrage nicht belegen konnte, veränderte oder teilweise wieder zurückzog, genannt. Statistiken wurden falsch zitiert. Der Blick auf Gewalt gegen Frauen wurde hochemotional geführt, wobei durch die Moderatorin wiederholt Rassismen reproduziert wurden. Die Zeit, welche für das Podiumsgespräch vorgesehen war, wurde überzogen, was dazu führte, dass für Nachfragen aus dem Publikum kaum Raum blieb. Als eine, auch aus den Medien bekannte, Sexarbeiterin Wortmeldung erhielt, wurde dies von der Podiumsteilnehmerin Huschke Mau abgewehrt. Sie erinnerte daran, dass bei kritischen Nachfragen zu bedenken sei, dass prinzipiell alle Frauen, die noch in der Sexarbeit tätig sind, Betroffene von Gewalt und traumatisiert seien und es sich lediglich „in ihrer Unterdrückung bequem machen“ würden. Kritische Anmerkungen und das Aufzeigen von Widersprüchen durch das Publikum wurden durch die Moderatorin unterbrochen. Eine Diskussion war nicht möglich. Auf wohlwollende Fragen antwortete das Podium ausschweifend, kritische Nachfragen hingegen wurden, mit Hinweis auf die knappe Zeit, abgebrochen. Frau Huwig als Projektleiterin übernahm, außer einem Abschlusswort, keinen Redeanteil.
Wir wünschen uns eine Reflexion der Veranstaltung durch das Museum der bildenden Künste, da die gegebenen Rahmenbedingungen dieses Nachmittags von Vertreter*innen des AK Sexarbeit selbst als gewaltvoll erlebt wurden. Stigmatisierung, Viktimisierung und Rassismus wurden Raum gegeben und unkommentiert geduldet. Das Museum der bildenden Künste hat, aus Sicht des AK, eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, der es an diesem Nachmittag nicht gerecht werden konnte.
Teilnehmende des AK Sexarbeit Leipzig [AK-Sexarbeit@online.de]