Tim wollte im letzten Jahr mit mir einen besonderen Städtetrip machen.
Nach einigem Brainstorming fiel unsere Wahl auf Mailand. Wir mussten ganz schön eng planen, um einerseits so viel wie möglich anzuschauen und andererseits aber nicht zu sehr in Stress zu geraten.
Wir kamen an einem Mittwoch abends an und gingen erstmal Pizza essen in der Umgebung unseres Hotels. Nach einem kleinen Spaziergang fielen wir nur noch in unsere Betten, denn am nächsten Tag stand Einiges an.
Wir besichtigten zuerst den Mailänder Dom. Ein sehr beeindruckendes Gebäude, sowohl von außen, als auch von innen. Die Architektur und die ganzen Kunstwerke an den Wänden und den Fenstern waren für uns kaum fassbar. Wir bestiegen auch das Dach des Doms mit den unzähligen Türmen. Die Aussicht entgegengesetzt des Domplatzes ist leider schon ziemlich zugebaut mit modernen Betonklötzen, die nicht so recht ins Bild passen. Nach dem Dom stand eine Stadtrundfahrt mit einem Hop-On-Hop-Off-Bus auf unserem Plan. Damit kamen wir an sehr vielen Sehenswürdigkeiten vorbei und wurden über unsere Audio-Guides mit spannenden Fakten versorgt. Wir stiegen an einer beeindruckenden Festung aus, besichtigten deren Innenhof und spazierten im Anschluss noch durch den herrlichen angeschlossenen Park, in dem es eine sehr romantische kleine Brücke gibt, die von vier Nixen bewacht wird. Eine ausgiebige Pause, die wir auf einer Parkbank mit einem leckeren Eis verbrachten, gab es natürlich auch.
Unser erster Tag verging so, wie im Flug.
Für den nächsten Tag stand ein weiteres Highlight an: wir besichtigten Leonardo Da Vinci’s berühmtes Gemälde „Das Abendmahl“ in der Kirche Santa Maria delle Grazie. Dafür mussten wir im Vorfeld einen Termin machen, denn es wurden alle 15 Minuten nur wenige Menschen in den Raum gelassen, in dem das Gemälde eine Wand ziert. Ich bin keine große Kunstkennerin, aber so ein Gemälde über eine ganze Wand mit den passenden Proportionen und so vielen Details hinterlässt auch bei mir Eindruck. Nach 15 Minuten wurden wir aber schnell wieder herausgebeten, weil die nächste Gruppe schon wartete. An dieser Stelle hätten wir uns mehr Rücksicht gewünscht auf Menschen mit Einschränkungen, denn es hat einige Zeit gebraucht, Tim das Bild so genau wie möglich zu beschreiben. An der Wand gegenüber gab es ein weiteres Gemälde mit der Kreuzigungsszene und noch mehr Details. Wahrscheinlich haben die Sicherheitsleute nicht mitbekommen, dass Tim eine Sehbehinderung hat – trotzdem hätten sie etwas höflicher sein können.
Sei’s drum: wieder an der frischen Luft bei schönem, sonnigem Herbstwetter wollten wir uns ein Café suchen, um bei einem Snack und italienischem Kaffee das Treiben in der Stadt zu beobachten. Dieses Unterfangen hatten wir uns einfacher vorgestellt in einer italienischen Metropole. Leider fand sich in der Innenstadt kein süßes, kleines Straßencafé – nur Bistros und Restaurants der Luxusklasse, in denen es sehr hektisch zuging. Wir liefen uns die Füße wund und fanden schließlich einen kleinen Laden in einer Seitenstraße, in dem wir jedoch nur blieben, weil wir wirklich nicht mehr konnten. Der Kaffee hat uns trotzdem gut geschmeckt und die Leute dort waren sehr freundlich. Nach dieser Pause begaben wir uns zunächst wieder ins Hotel.
Wir holten unsere Badetaschen, denn unser Tagesplan sah noch den Besuch einer antiken Therme mitten in der Stadt ganz in der Nähe der Porta Romana vor. Laut Beschreibung handelt es sich um die größte und luxuriöseste Thermaleinrichtung in Mailand. Mauern aus dem 16. Jahrhundert umgeben den Außenbereich des wunderschönen Jugendstilgebäudes und auch innen sollten uns viele Möglichkeiten zur Entspannung erwarten.
Wir hatten uns die Nachmittags- bis Abendstunden für unseren Besuch ausgesucht, um im Außenbereich in den Pools bei Sonnenuntergang und zur blauen Stunde zu liegen.
Leider wird es Besuchern schon bei der Online-Buchung der Tickets recht schwer gemacht und so mussten wir am Empfang fragen, wie wir nun an unsere Tickets kommen. Eine der beiden jungen Frauen sprach auch ganz passabel englisch und wies jedem von uns einen Schrank in der Umkleide zu. Wohlgemerkt ein Schrank im Frauen-Umkleidebereich und einen im Männer-Umkleidebereich. Beide Bereiche waren sehr verwinkelt. Für Familien oder Menschen mit Behinderung gab es keinen gesonderten Bereich und so versuchten wir, zu erklären, dass wir auch beim Umziehen zusammen bleiben müssten, da Tim meine Unterstützung benötigt. Kurzerhand wurde mir erlaubt, Tim zu seinem Schrank zu begleiten. Das war schon sehr umständlich, denn, nachdem sich Tim umgezogen hatte, musste er auf einer Bank sitzend warten, bis ich mich in „meinem“ Bereich umgezogen hatte und ihn abholte. Als ich das tat, wurde ich gleich von einer Reinigungskraft angemeckert. Ich verstand allerdings sowieso nicht, was sie sagte.
Später fanden wir bei den einzigen Toiletten in dem dreigeschossigen Gebäude doch noch ein Behinderten-WC mit Dusche. Es war eine von zwei Toiletten, die wir im ganzen Haus finden konnten, was wir wirklich erschreckend fanden. Das Haus ist zwar alt, war aber innen nach umfangreichen Sanierungen top-modern, so dass man alles leicht so hätte bauen können, dass Menschen mit Behinderung auch alle Bereiche nutzen können.
Das Untergeschoss war wie ein Gewölbe gestaltet und es gab dort tolle kleine Becken, einen Wasserfall, Dampfbäder, ein Becken mit Videoinstallation und Vieles mehr. Alles dort war nur über Stufen erreichbar und die Eingänge wären für Rollstühle oder Kräne kaum zugänglich gewesen. Auch entdeckten wir den Lift, der dort hinunter führte, erst als wir unten ankamen. In der Etage darüber war dieser total versteckt und es wies auch kein Schild den Weg. Überhaupt gab es irrsinnig viele Treppen sowie einzige keine Tür, die sich automatisch oder mit einem Schalter öffnen ließ.
Insgesamt war dieser Besuch also doch etwas ernüchternd. Und ich verstehe eines nicht: In einigen Ländern gehen die Leute in Badebekleidung in die Sauna. Was macht das für einen Sinn? Jedenfalls stellte sich bei mir die Entspannung nicht so richtig ein, während ich im nassen Bikini in der Sauna oder dem Dampfbad saß.
Den wunderschönen Außenbereich konnten wir jedoch entgegen aller Behindertenfeindlichkeit zuerst bei Sonnenschein am Nachmittag und später abends unterm Sternenhimmel ausgiebig genießen. Zwischendurch gab es noch einen kleinen Aperitivo mit leckeren italienischen Snacks und Getränken. Bevor wir gingen, sammelten wir unsere Sachen in den Schränken ein, blockierten das Behinderten-WC und duschten dort gemeinsam. Wir setzten dabei zwar den halben Toilettenbereich unter Wasser, aber das war uns egal. Ein kleiner Denkanstoß in Richtung Inklusion konnte sicher nicht schaden.
Wie der Titel schon verrät, ging unser Mailand-Abenteuer noch weiter. Deshalb: Fortsetzung folgt …